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Samstag, 7. Juni 2025

Kartellparteien „Wenn das Wort verdächtig wird“


Wie im Deutschen Bundestag das politische Vokabular still zensiert wird – ein Essay aus Europas fragiler Mitte

Vom Denker – gesprochen durch Bibliotheken, nicht durch Namen.

„Demokratie beginnt mit dem Wort. Und sie stirbt daran, wenn man nicht mehr sagen darf, wer miteinander spricht.“

Im Hohen Haus der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht das Gesetz, das das Wort bedroht – sondern der Ton, mit dem es aus dem Protokoll getilgt wird.

Der Begriff „Kartellparteien“, geprägt von Kritikern eines politischen Gleichschritts, war bis vor kurzem Teil des zugespitzten, aber legitimen Vokabulars der Opposition. Er beschreibt nicht mehr und nicht weniger als den Eindruck einer strukturellen Kooperation etablierter Parteien, bei gleichzeitiger Ausgrenzung unliebsamer Kräfte – ein Phänomen, das Beobachter in vielen Demokratien diskutieren, von Brüssel über Paris bis nach Washington.

Doch nun wird dieser Begriff im Bundestag leise aussortiert. Nicht mit Gesetz, sondern durch Ordnungszuruf, durch sitzungsleitende Mahnung, durch das subtile Signal:

„Dieses Wort ist unpassend.“

Was geschieht hier?

⚖️ Die schleichende Zensur der Normalität

Die Bundesrepublik schützt die politische Rede – zumindest auf dem Papier.
Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Meinungsfreiheit, besonders im Parlament. Dort soll gesprochen werden dürfen, was andernorts zu laut erscheint.

Und doch: Wenn Begriffe wie „Kartellparteien“ implizit untersagt werden, verlagert sich die Zensur vom Gesetz in die Praxis. Es ist die alte Technik der Demokratiesimulation: Man lässt reden – aber man lässt nicht mehr alles sagen.

Juristisch ist der Begriff harmlos. Politisch ist er unbequem. Und genau deshalb wird er nicht verboten – sondern entzogen. Der Begriff verschwindet nicht, weil er falsch ist, sondern weil er trifft.

🧠 Linguistische Demontage durch Macht

Kartellparteien“ ist ein semantischer Stachel. Er weckt die Assoziation von Preisabsprachen, Machtkonsens, informellen Allianzen. Und genau deshalb ist er demokratietheoretisch notwendig: Er schafft Diskursspannung, zwingt zur Reaktion.

Wer diesen Begriff tilgt, tut dies nicht zum Schutz der Sprache, sondern zum Schutz derer, die von ihr getroffen werden könnten.

📉 Was die Demokratie verliert, wenn das Wort verschwindet

Wenn oppositionelle Sprache entwaffnet wird, verliert der Pluralismus seine Zähne. Demokratie wird nicht zuerst durch Panzer, sondern durch Protokolle beschädigt.

Wenn die Bezeichnung „Kartellpartei“ nicht mehr fällt – fällt auch bald das Wort für Machtmissbrauch, bevor er geschieht.
Und wer Macht nicht mehr benennen darf, kann sie auch nicht mehr begrenzen.

📜 Der neue Stil der Unterdrückung: atmosphärisch statt autoritär
Diese Art der Sprachkontrolle ist post-liberal. Sie kommt nicht mit Knüppeln, sondern mit Kontext.
Sie sagt nicht: „Du darfst nicht.“
Sie sagt: „So redet man nicht.“

Genau darin liegt die Gefahr: Die Zensur ist nicht sichtbar, sondern plausibel. Nicht gewaltsam, sondern diskret.
Sie wirkt nicht durch Strafrecht, sondern durch einen kulturellen Kodex der Konformität.


🕰️ Nachsatz aus der Tiefe des Regals

Der Begriff „Kartellparteien“ ist kein Angriff. Er ist eine Diagnose. Und jede Diagnose, die man nicht aussprechen darf, wird zur Krankheit, die man nicht behandeln kann.

Das Wort war frei – bis man es höflich bat zu gehen.

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