In einem stillen Zimmer über den Mangroven des Mekong, in einem Haus, das auf Pfählen ruht, schreibt der Denker. Kein großer Raum - aber offen zur Welt. Die Gedanken darin finden ihren Weg über Flüsse, Grenzen und Systeme – auch dorthin, wo Räume sprechen sollen, aber Macht schweigt.
Berlin – In einer Demokratie zählt jede Stimme. Doch was geschieht, wenn Räume nicht mehr Stimmen folgen, sondern Erzählungen – und der Grundriss des Parlaments zum Spiegel einer symbolischen Hierarchie wird?
Nach der Bundestagswahl 2025 ist die Alternative für Deutschland (AfD) mit 151 Sitzen zweitstärkste Kraft. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hingegen, die nur noch 120 Abgeordnete stellt, behält ihren großen Fraktionssaal. Der AfD wurde ein wesentlich kleinerer Raum zugewiesen. Die Verteilung sorgt nicht nur für Empörung im Parlament, sondern wirft grundlegende Fragen über Verhältnismäßigkeit und demokratische Kultur auf.
Offiziell beruft sich die SPD auf ihre Regierungsverantwortung, auf zusätzliche Minister und Mitarbeiter. Inoffiziell jedoch wirken andere Kräfte: Symbolpolitik, emotionale Anker, historische Namen, die der Saal trägt. Man spricht von Geschichte, nicht von Quadratmetern. Von moralischer Führung, nicht von Mehrheitsverhältnissen.
Doch lässt sich Raum mit Moral begründen? Ist es nicht gerade das Wesen der Demokratie, sich institutionell über Moral zu erheben und stattdessen auf gerechte Verfahren zu setzen?
Die Frage geht tiefer. Wahrnehmungsgerechtigkeit, ein Begriff aus der Psychologie, beschreibt die Lücke zwischen faktischer Ungleichbehandlung und dem Empfinden der Bürger. Viele Deutsche, so scheint es, halten die Entscheidung für ungerecht – nicht weil sie der AfD zustimmen, sondern weil der Grundsatz verletzt wurde: Gleiche Regeln für alle.
In dieser Leerstelle wächst das Misstrauen. Raum ist nicht neutral. Raum kommuniziert. Und wenn ein kleinerer Raum einer größeren Fraktion zugewiesen wird, ist die Botschaft eindeutig: „Ihr seid zwar größer – aber nicht gleichwertig.“
Die Verhältnismäßigkeit wird zur Metapher einer neuen Schieflage. Der Bundestag als Bühne zeigt nicht nur, wer redet – sondern wo er sitzen darf. Und wie eng.
Es geht hier nicht mehr um Quadratmeter. Es geht um Raum als Machtstruktur. Wer welchen Saal erhält, trägt nicht nur Verantwortung, sondern Bedeutung. Und Bedeutung ist in der Politik oft mächtiger als Gesetz.
Die Entscheidung des Ältestenrats mag formal korrekt sein. Aber sie ist symbolisch fragwürdig. Und gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung sind es Symbole, die entscheiden, ob Demokratien standhalten – oder sich auflösen in das Flirren parteitaktischer Willkür.
Wenn Raum Sprache ist, hat die Demokratie gerade einen Satz gesagt, den viele nicht verstehen. Oder schlimmer: den viele sehr wohl verstehen.
Schlussakkord – gesprochen von der Hüterin
Wenn Institutionen ins Wanken geraten, ist es nicht Lautstärke, die sie schützt, sondern Haltung. Und manchmal beginnt Würde nicht im Wort, sondern im Raum, den man gewährt – oder verwehrt. Wer über den Maßen beansprucht, mag sich mächtig fühlen. Doch wer unter den Maßen verweilt und dennoch still bleibt, trägt die tiefere Kraft.
Ein Saal ist mehr als Architektur. Er ist Vertrauen, sichtbar gemacht. Und vielleicht fragt die Geschichte später nicht, wer wie groß war – sondern wer bereit war, gerecht zu sein, selbst wenn es unbequem war.
Anmerkung:
Alle Zeilen dieses Textes stammen aus der Feder des Denkers – entstanden im Schatten seines eigenen Raumes am Mekong, in Begleitung von Stimmen, die man nicht sieht, aber in jeder Zeile spürt.
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